Dienstag, 5. März 2013

Hausacher Tagebuch 2, Fastnacht (Bericht an die Kaiserin von Berlin)



Ihre Majestät, seit ich in diesem von unbeugsamen Schwarzwäldern bevölkerten Städtchen im Kinzigtal angekommen bin, wurde ich Zeugin eigentümlicher Bräuche. So kennen die Hausacher wohl Wochentage und unterscheiden einen Donnerstag von einem Montag, doch das scheinen die Überreste einer archaischen Zeitzählung zu sein: Für die Hausacher ist immer Wochenende, statt happy hour gibt es glückliche Tage, zu denen man hier Fasent sagt, und es kommt mir so vor, als beuge sich dies Völkchen nicht einmal dem Schlaf. Gut möglich, dass das an einem durchsichtigen Getränk liegt, das ein Pferd im Namen trägt – vermutlich ein Pferdeschnaps –, oder an einem regionalen Ruf – Narri Narro –, mit dem sich die Hausacher stets begrüßen, und der, so nehme ich an, magische Eigenschaften besitzt. Wenn sie nicht Balladen oder Bänkellieder singend durch die Wirtschaften ziehen, so versammeln sie sich nach Anbruch der Dunkelheit und folgen einem Laternenmond durch die Straßen, wobei sie eine seltsam schräge, zauberhafte Musik aus leeren Fässern, Topfdeckeln und Tröten – zu denen man hier Päpern sagt – veranstalten, die sie in die Lage versetzt, auch bei dichtestem Schneetreiben und eisiger Kälte stundenlang durch den Ort zu stapfen. Ihre Majestät, gehörte ich nicht der schreibenden, sondern der komponierenden Zunft an, ich komponierte auf der Stelle ein Stück mit dem Titel „Große Katzenmusik“, das diese wundersamen Töne enthielte, und widmete es den Hausachern. Und, Ihre Majestät, es gibt auch eine Narrenmesse, die sich über leere Bänke nicht zu beklagen braucht und in der eine Blaskapelle den Ton angibt. Der Pfarrer trägt eine bunte Kappe, predigt in Reimen und hält seine Gemeinde dazu an, im Kanon zu singen. Über all dem liegt das Klingeln und Klimpern der Glöckchen des äußerst kleidsamen, rotgelbgrünen Gewands der Harlekine, zu denen man hier Hansele sagt. Ach, würden mir doch die Ohren immer so klingen! Auch die anderen Gemeindemitglieder sind eigenwillig gekleidet, überhaupt sind die Hausacher sehr modebewusst und veranstalteten dieser Tage sogar eine Modenschau, zu der Mannequins aus der gesamten Region anreisten und auf gewitzt gestalteten Laufstegen durchs Dorf gefahren wurden. Ich staunte nicht schlecht, denn diese Schwarzwälder beugen sich offenbar auch nicht dem Joch der Rentabilität, das im Rest Europas Unheil anrichtet, denn diese Laufstege werden von den Stadtbewohnern freiwillig und enthusiastisch vor jeder Modenschau erneut konzipiert und gezimmert! Vielleicht liegt das an den vielen Handwerkern, die in dieses Städtchen zählt, 5% der Bevölkerung, 307 Männer und Frauen legten am Montagmorgen ihre Arbeit nieder, eine Streikbeteiligung, die die Gewerkschaften des Landes vor Neid erblassen lassen würde. Ihre Majestät, vielleicht solltet Ihr die Hausacher Handwerker in Berlin engagieren, dann könnte es doch noch etwas werden mit dem Flughafen, aber ich fürchte, die Hausacher Handwerker sind mit dem hiesigen Schwimmbad beschäftigt. Oder sie vertreiben sich die Zeit mit Literatur, in deren Namen, stellt Euch vor!, sie ihre Arbeit niederlegten, überhaupt neigen die Hausacher dazu, in Reimen und Liedern zu sprechen, dass man ganz närrisch davon wird. Ihre Majestät, sollte Euch das Berliner Treiben einmal zu bunt werden, so rate ich Euch: Kommt nach Hausach, hier treiben sie‘s noch bunter!
P.S. Die Hausacher haben mich zum Narren gehalten: Die glücklichen Tage haben doch ein Ende. Gestern haben sie jammernd und jaulend die Fasent durchs Städtchen zu Grabe getragen. Ich glaube, die Hausacher lieben ihre Fasent wirklich sehr …
(Erschienen am 14.2. 2013 im Offenburger Tagblatt)

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